Radreise Kuba – Reisebericht einer Odyssee

Aussicht vom kleinen Imbissstand
Aussicht vom kleinen Imbissstand

Ich hatte den vagen Plan gehabt, eine Radreise Kuba zu unternehmen, aber im Vorfeld natürlich nichts geplant. Doch der erste Mensch, mit dem ich am Flughafen in Cancun ins Gespräch kam, war ein Tourguide für Biketouren auf der Insel. Keine 24 Stunden später hatte ich plötzlich ein Fahrrad, eine Satteltasche, diverse Landkarten, Werkzeug und einen Überblick darüber, wo es in Cuba am Schönsten ist. Nun musste ich meinen Plan Radreise Kuba wohl auch in die Tat umsetzen. Nach ein paar wenigen Tagen in Havanna, in denen ich es geschafft hatte, einmal gedankenlos direkt vor einem Che Guevara-Plakat auszuspucken, und mir ein anderes Mal für meine morgendlichen Übungen den einzigen verbotenen Platz der Stadt vor dem US-Handelszentrum auszusuchen, war dann der Tag der Wahrheit gekommen.

Radreise Kuba: Ich vor dem José Martí Monument
Ich vor dem José Martí Monument

Radreise Kuba: Havanna

Tag 1

Als ich früh aufwache, schüttet es wie aus Kübeln. Doch tatsächlich klart der Himmel schon bald auf und ich kann meine Radreise Kuba starten. Als ich die dritte Kreuzung passiere, merke ich, dass mein Fahrrad, das ich Pedro getauft habe, bereits einen Platten hat. Doch die geliehene Pumpe füllt ihn mit neuem Leben, offenbar hat er sich nur vom Herumstehen geleert. Auf dem Weg nach Süden quer durch Kubas Hauptstadt verfahre ich mich mehrfach, aber die Menschen sind hilfsbereit und wissen – anders als in vielen anderen Ländern – tatsächlich auch die richtige Wegbeschreibung. Als ich endlich die Autobahn erreiche, ist diese provisorisch gesperrt und wird von Menschenmassen belagert. Erst wittere ich einen Unfall, doch der Grund für den Auflauf ist wesentlich angenehmerer Natur: Ein paar sehr aufgemotzte Oldtimer fahren ein Rennen gegeneinander, ein amerikanisches Filmteam dokumentiert das Ganze. Immer wenn die Boliden lospreschen, springen die Kubaner im letzten Moment von der Strecke. Für eine Weile genieße auch ich dieses ungewöhnliche Schauspiel.

Als ich weiterziehe, beginnt das, worauf ich mich schon seit Tagen gefreut habe. Ich fahre mit meinem Fahrrad auf der sechsspurigen Autobahn, denn hier in Kuba ist das erlaubt! Noch besser ist, dass es kaum Verkehr gibt, weil sich nur wenige hier ein Auto leisten können. Nicht ganz so gut ist, dass ich vom ersten Meter an mit brutalem Gegenwind zu kämpfen habe. Ich komme kaum gegen ihn an. Schnell beginne ich die steife Brise lauthals zu beschimpfen.

Ich halte an einem der raren Raststopps und bekomme direkt von ein paar Einheimischen Rum angeboten. Doch gegen diesen Wind komme ich nicht mal nüchtern an und so lehne ich zögerlich ab. Wegen des Windes und weil die Autobahn doch auf Dauer etwas eintönig ist, entschließe ich mich nach ein paar weiteren Kilometern, Las Terrazas zu meinem neuen Tagesziel zu machen, das etwas näher liegt als das zunächst anvisierte Soroa, und auch eine alternative Strecke ermöglicht.

Ich biege ab auf eine Landstraße, die mich durch kleine Dörfer mit bunten Häusern führt. Hügel schützen mich von nun an ein wenig vor dem Wind. Überall am Straßenrand sehe ich Öko-Gärten. Die Kubaner haben direkt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die das Land seinerzeit de facto am Leben erhielt, damit begonnen, jedes noch so kleine freie Grundstück zu bepflanzen. Heute berufen sich viele Nachhaltigkeitsinteressierte auf diese Überlebensstrategie, welche die negativen Effekte der sogenannten ‚special period‘ in den 90ern zumindest ansatzweise abdämpfen konnte. Was ich auch ständig zu Gesicht bekomme, sind Schilder mit Propaganda für die Revolution und den Sozialismus. ‚El Che’, wie sie Che Guevara hier nennen, ist der unbestrittene Star auf den teils handgemalten Schildern. Wie in Havanna sieht man auch hier auf dem Land nicht ein einziges Werbeplakat. Wofür sollten diese auch werben, es gibt ja ohnehin kaum etwas zu kaufen.

Radreise Kuba: Strassenszene mit Che Guevara Propaganda

Von vorne sehe ich plötzlich eine sehr dunkle Wolke herannahen, der Wind frischt noch mehr auf. Nur kurz später beginnt der Wolkenbruch. Ein freundlicher Campesino auf der Straße behauptet zwar, dass alles in fünf Minuten wieder vorbei sein wird. Zum Glück glaube ich ihm kein Wort und stelle mich auf der Terrasse eines halb verfallenen Gebäudes unter. Der tropische Regenguss dauert fast eine Stunde. Nun verkehren fast gar keine Autos mehr, das gesamte Leben entlang der Straße kommt zum Erliegen. Es bilden sich regelrechte Flüsse und mir bleibt nichts anderes übrig, als dem schmutzigen Wasser dabei zuzusehen, wie es alles mit sich reißt. Dann fährt plötzlich ein Bus vor und spuckt eine sehr alte Frau und einen kleinen Jungen aus, die sichtlich fasziniert von mir und meinem Fahrrad sind. Wir plaudern eine Viertelstunde lang über Gott und die Welt und sie wünschen mir zum Abschluss alles Gute für meine Radreise Kuba. Beschwingt von der Gutherzigkeit der Leute ziehe ich im nachlassenden Regen weiter.

Doch es fängt immer wieder aufs Neue an. Ehe ich es richtig bemerke, bin ich auch schon nass bis auf die Knochen. Zudem muss ich feststellen, dass 65 Kilometer keine kurze Strecke sind für jemanden, der zuletzt vor fünf Monaten auf einem Drahtesel gesessen hat. Schon bald bewege ich mich wie in Trance, ich trete und trete. Mal passiere ich Dörfer, in denen Kinder die Straße zum Fußballfeld umfunktioniert haben, mal sehe ich lange nichts und niemanden. Die Straßen voller Schlaglöcher führen über Hügel, am Wegesrand passiere ich streunende Hunde und Zuckerrohrfelder. Meine Haut ist schrumpelig, als wäre ich in der Badewanne eingeschlafen. Zum Glück ist wenigstens die Satteltasche mit meinen paar Sachen wasserdicht.

Mitten in der Wildnis treffe ich einen von oben bis unten verschlammten Bauern. Er ist betrunken und lädt mich zu einem Glas Milch ein, das er offenbar eigens dafür aus seiner einzigen Kuh zu zapfen beabsichtigt. Entgegen meiner Natur und den Geboten des Anstands lehne ich freundlich ab. Ich will nun einfach nur noch ankommen.

Radreise Kuba: Las Terrazas

Eine Stunde später, als ich meine Beine kaum mehr spüren kann und ich mein letztes Essen einem erbärmlich aussehenden Hundchen überlassen habe, erreiche ich tatsächlich Las Terrazas. In Kuba wohnt man nicht in Hostels, sondern in sogenannten Casas Particulares. Privatleute vermieten ein oder zwei Gästezimmer im eigenen Haus, dies ist erst seit ein paar Jahren legal. Doch vor Ort sind alle drei Häuser, die hierfür eine Lizenz haben, ausgebucht. Und da wird mir plötzlich klar, dass ich wohl doch nach Soroa muss. Denn die Leute in meinem Casa in Havanna haben morgens für mich dort bei Freunden angerufen und mich angekündigt. Da ich aber nun beim besten Willen nicht mehr radeln kann, nehme ich vom Eingang des Naturparks ein Taxi für die letzten 15 Kilometer, die uns direkt durch den bezaubernd anmutenden Park führen. Ich muss mich ja nicht gleich am ersten Tag umbringen.

Meine Gastgeber haben mich tatsächlich seit Stunden in ihrem kleinen Haus mitten im Dschungel erwartet und begrüßen mich überschwänglich. Ich dusche heiß aus einem lebensgefährlichen Durchlauferhitzer und verschlinge dann das gesamte Essen, das mir aufgetischt wird. Da ich kaum Klamotten dabei habe, wasche ich für den folgenden Tag noch schnell alle meine schmutzigen Sachen im Waschbecken. Draußen stürmt und pfeift es, immer wieder fallen große Palmenzweige krachend auf das Blechdach. Doch in kürzester Zeit schlafe ich den Schlaf der Gerechten, nachdem ich mir vorgenommen habe, hier einen Tag Pause zu machen.

Tag 2
Ohne genau sagen zu können warum, will ich nun doch sofort weiter. Ich vertilge das riesige Frühstück bis auf den letzten Krümel und mache noch schnell eine einstündige Wanderung zu einem wirklich spektakulären Aussichtspunkt, der den Terrazas Naturpark mit seinen markanten Hügeln überblickt. Dann sattle ich Pedro und weiter geht’s. Überraschenderweise habe ich kaum Muskelkater und fühle mich sehr energiegeladen. Man empfiehlt mir zwar noch die Ruine einer Kaffeeplantage und einen Wasserfall, aber ich habe erneut einige Kilometer vor mir und spare mir diese Umwege.

Radreise Kuba: Ausblick auf den Nationalpark Las Terrazas
Nationalpark Las Terrazas

Noch einmal durchquere ich den Park, diesmal mit Muskelkraft. Es geht fast augenblicklich steil bergauf. Auch der Wind ist zurück und ich trete in ein erneutes Zwiegespräch mit ihm, das nicht das höflichste ist. Es war eine gute Idee, meinem Fahrrad einen Namen zu geben, denn so habe ich immer jemanden, dem ich mein Leid klagen kann. Pedro ist ein guter Zuhörer und immer dann, wenn ich gerade komplett das Handtuch schmeißen will, höre ich ihn sagen: ‚¡Sí se puede!’ (Doch, das geht schon!).

Meine Beine schmerzen nun und meine Brustwarzen sind noch ganz wund vom Vortag. Mein Nacken ist steif, ich schwitze wir ein Tier. Ich habe Mühe, meinen Körper zu kontrollieren.

Ich passiere zunächst ein kleines Dorf mit bunten Häuschen, in der Vormittagssonne lächelnden Menschen und höllisch lauten Gefährten, die alle älter als die Revolution sind. Ich bin fasziniert davon, dass es auch hier nur so wimmelt von den alten amerikanischen Straßenkreuzern und den monströsen russischen LKW. Dann nehme ich eine Abzweigung, die in meinem Buch empfohlen wird, aber tatsächlich auf keiner cubanischen Landkarte verzeichnet ist. Ein Zyklon hat vor ein paar Jahren große Teilstücke der ohnehin schlechten Straße weggerissen, Schilder warnen an der Kreuzung vor tiefen Löchern im Asphalt. Die Abenteuerlust kribbelt mir die Wirbelsäule entlang.

Kaum bin ich abgebogen, wird es ruhig, sehr ruhig. Kilometerlang sehe ich nichts und niemanden und arbeite mich in moderatem Tempo über die Hügel. Mich umgibt eine fast unheimliche Stille. Dann passiere ich einen Vaquero, einen Cowboy, mit zwei Pferden, der mich wie in Zeitlupe grüßt. Danach kommt noch mehr Nichts, davon gibt es hier offenbar viel. Über mir kreisen große schwarze Geier und ich hoffe, dass sie das nicht tun, da sie meine Erschöpfung riechen können. Mehrfach sehe ich Spechte an den Bäumen und lange Straßen von Blattschneideameisen, die große grüne Stücke in das undurchdringliche Dickicht schleppen. Der Downhill nach etwa einer Stunde Mühsal entschädigt für die Strapazen, aber direkt hinter dem Tal geht es wieder aufwärts. Längst bin ich mir nicht mehr zu stolz, um Pedro die steileren Passagen hochzuschieben. Das belastet zur Abwechslung auch mal andere Muskeln.

Radreise Kuba: Ein Vaquero in der Wildnis nicht weit von Las Terrazas
Ein Vaquero in der Wildnis nicht weit von Las Terrazas

Ein Hungergefühl beschleicht mich, aber wie an so vielen Orten auf der Insel gibt es hier nichts zu essen. Es geht zurück auf steile Straßen, auf denen man völlig auf sich selbst zurückgeworfen wird. Wie in Trance rede und rede ich. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich mit Pedro spreche oder einfach nur so vor mich hin. Manchmal passiere ich sehr simple Hütten, von denen aus mir Leute zuwinken.

Rauf und runter, immer wieder. Meine Beine schmerzen, ich bin klatschnass geschwitzt. Ich habe sicher schon 4 Liter getrunken und war noch nicht ein Mal pinkeln. Es muss an die 35 Grad heiß sein. Heute trage ich wegen der schlechten Straße Schuhe und merke erste Anzeichen von Blasen. Viel schwerer aber wiegt mein Hunger, ich brauche dringend neue Energie. Und wenn ich auch manchmal kleine Dörfer passiere, zu essen gibt es nirgends etwas. Das habe ich in noch keinem Land gesehen.

Radreise Kuba: Landschaft bei Las Terrazas

Ich verfluche die Autoren des Buches, die mir diese Route empfohlen haben. Jedoch tue ich das hauptsächlich, weil die beiden über 60 sind und diese Strecke offenbar mühelos bewältigen, ich aber bereits am Ende meiner Kräfte angelangt bin. Widerwillig entscheide ich mich für die Abkürzung auf der Autobahn, denn ich habe Angst sonst zu kollabieren. Ich rolle aus dem Gebirge heraus in Richtung Ebene und muss immer wieder kleine Hügel im Gegenwind bewältigen. Es riecht nach verbrannten Zuckerrohrfeldern.

Als ich endlich an der Autobahnauffahrt ankomme, finde ich einen winzigen Imbiss. Ich bestelle erst zwei gelbe Milchbrötchen mit Butter, dann noch eines mit Guaven-Marmelade. Dazu gibt es zwei hausgemachte Limonaden. Es ist das beste Essen, das ich seit Monaten zu mir genommen habe, und mich überkommt ein starkes Glücksgefühl. Zu diesem Zeitpunkt kann ich noch nicht wissen, dass ich mir an einem dieser Stände einen schmerzhaften Magenparasiten einfange.

Radreise Kuba: Aussicht vom kleinen Imbissstand

Als ich dann auf der Autobahn bin, kann ich mein Glück kaum fassen. Denn nun habe ich Rückenwind und die Wolken haben sich verzogen. Also verwerfe ich die heimliche Idee, mitsamt meinem Fahrrad auf einen LKW aufzuspringen. Ich entledige mich meiner Schuhe und knöpfe mein Hemd auf, um es als Segel zu nutzen. Freihändig und barfuß gleite ich sodann mit einem Affenzahn über die Fahrbahn. Im Schatten unter den Brücken warten Menschen darauf, von einem Fahrzeug mitgenommen zu werden. Sie starren mich verwundert und amüsiert an, wenn ich sie pfeilschnell passiere. Ich bin dermaßen rasant unterwegs, dass ich meine Ausfahrt verpasse, sodass ich eine ganze Ecke über Landstraßen zurück fahren muss. Nun kann ich dem erneuten Gegenwind nicht mal mehr böse sein. Längst habe ich mich für die Beleidigungen der letzten Tage entschuldigt.

Nach weiteren Kilometern mit Gegenwind und Hügeln gönne ich mir an einem Kiosk ein kaltes Bier. Nach solchen Strapazen schmeckt alles fantastisch. Guter Dinge hole ich mir noch einen frisch gepressten Zuckerrohrsaft an einer Bretterbude und beobachte eine Weile lang das Dorfleben. Die Tramper, die geduldig an der Kreuzung warten, die Bauern, die von den Feldern kommen und sich jetzt mit billigstem Rum zuschütten, die jungen Leute, die trotz Armut und Landleben aussehen wie aus dem Ei gepellt. Ein Betrunkener tanzt gedankenverloren mitten auf der Kreuzung, die Menschen scheinen sich dafür zu schämen, dass ich als Tourist so etwas zu Gesicht bekomme.

Radreise Kuba: San Diego de los Baños

Nun ist es nicht mehr weit auf meiner Radreise Kuba. Ich bin fast so erschöpft wie am Vortag und dazu noch ziemlich rot von der Sonne, als ich schließlich in San Diego de los Baños einlaufe. Ich gönne mir ein Hotel, denn das kostet hier nicht viel mehr als ein Casa. Der Blick aus meinem Zimmer geht raus auf den Pool und die gut bestückte Bar.

Nach einer Dusche laufe ich zum Sonnenuntergang ins winzige Dorf. Man hat mir gesagt, dass die Heilbäder momentan geschlossen sind, aber ich will sie mir wenigstens von außen ansehen. Doch als ich gerade einen verfilzten Hund streichle, nähert sich mir Pilu. Der sympathische Mann mittleren Alters bietet mir an, mich ins Thermalbad zu schleusen, obwohl es vom Zyklon halb weggefegt wurde. Immerhin seien dort schon Lahme hineingegangen und als Gehende wieder herausgekommen, das solle ich mir nicht entgehen lassen. Dass ich weder Handtuch noch Badehose habe, sei auch kein Problem, denn es sei ja sonst eh niemand dort. Und so sitze ich nur kurz später völlig allein und nackt in einer zerfallenden Halle und genieße das warme, nach Schwefel stinkende Wasser in einem der schleimigen Becken. Ein faszinierender und zugleich gespenstischer Moment!

Radreise Kuba: Das verlassene Thermalbad in San Diego de los Baños
Wieder draußen angekommen, lasse ich mich von Pilu, der hier im Dorf als Lehrer und an der Universität in Pinar del Rio als Professor arbeitet, zu Don Pedro bringen, der offenbar weit und breit die besten Zigarren dreht. Pedro ist ein alter, sehr fröhlicher Mann, der angenehm nach Obst, Rauch und Rum riecht und ich schaue ihm dabei zu, wie er uns zwei frische Zigarren rollt. Zwar habe ich ein unbestimmtes Gefühl, dass die mir im Anschluss angebotene Schachtel Zigarren etwas zu teuer ist, aber ich gönne den Beiden ihren Gewinn. Wieder draußen, quatsche ich noch eine Weile mit Pilu über die Zustände in Cuba. Er kann von seinen 25 Dollar Lohn im Monat kaum überleben. Niemand hier kann sich gefiltertes Wasser leisten. Wie viele andere sieht auch er die Chancen auf eine Veränderung nicht allzu rosig. Wie so oft in Kuba endet die Unterhaltung in trauriger Ratlosigkeit.

Radreise Kuba: Don Pedro beim Zigarrenrollen
Don Pedro beim Zigarrenrollen

Etwas später speise ich sehr gut im Hotel. Als Tourist bekommt man hier die leckersten Sachen aufgetischt, während die Einheimischen für ein Laib Brot mitunter zwei Stunden schlangestehen. Außer mir gibt es nur zwei große Reisegruppen mit ältlichen Teilnehmern. Nach dem Essen werden diese noch von einer Band bespaßt und ich nehme mein Buch als Ausrede, um nicht an der Polonaise teilnehmen zu müssen. Nach dem Konzert der Gruppe – wie fast alle in diesem Land ausgezeichnete Musiker – spendiere ich allen acht Mitgliedern noch einen Rum zu je einem Dollar. Für mich nicht viel, aber die Gruppe weiß es zu schätzen. Wir reden über meine Radreise Kuba und scherzen noch eine Weile, dann gehe ich schlafen.

Tag 3

Heute will ich endlich mein Ziel Viñales erreichen und starte auf ein Neues früh. Ich frühstücke gemeinsam mit den Nervensägen der Reisegruppen, die sich darüber beschweren, dass es eine bestimmte Teesorte nicht gibt.

Ich könnte nun den direkten Weg wählen, aber dieser scheint mir langweilig. Stattdessen überquere ich eine alte Brücke und fahre, vorbei an sogenannten Velas, dreieckigen Häusern, in denen der Tabak getrocknet wird, auf Feldwegen durch die Landschaft. Schnell geht es wieder bergauf und schnell bin ich wieder allein auf weiter Flur.

Radreise Kuba: Cueva de los Portales

Nach ein paar Stunden erreiche ich die Höhle, in der ‚El Che’ seine Kommandozentrale hatte, als es während der Cuba-Krise kurz so aussah, als würde die Welt den Bach runtergehen. Ich komme an, als eine Reisegruppe gerade abhaut, und so habe ich den hübschen Ort für mich allein. Ein Fluss schlängelt sich durch die Höhle. Obwohl er ganz braun ist, liegt ein angenehmer Geruch in der Luft.

Radreise Kuba: Cueva de los Portales - Die Höhle von Che Guevara
Cueva de los Portales – Die Höhle von Che Guevara

Da mir schon wieder sehr nach Zuckerzufuhr zumute ist, trinke ich noch eine Cola und schaue dabei der Handvoll Arbeiter zu, wie sie die angrenzende Hüttenanlage auf Vordermann bringen. Wie überall hier fühlt man sich, als sei das wahrhaftig das Ende der Welt.

Radreise Kuba: Ein Campesino bei der harten Arbeit
Von nun an riecht es überall sehr intensiv, mal nach Blüten am Wegesrand, mal nach einem Feld, das ein Bauer gerade abbrennt. Zu beiden Seiten erheben sich nun mächtige Karstfelsen und ich radele staunend auf unbefestigten Wegen. Ich passiere Bananenstauden sowie Tabak- und Zuckerrohrfelder. Die Bauern tragen Gummistiefel und bestellen die Felder mit simpelstem Gerät und der Hilfe ihrer Ochsen. Schweine, Ziegen und Kühe grasen am Wegesrand, die Kühe haben immer jeweils mindestens einen weißen Vogel zum Begleiter. Die winzigen Dörfer bestehen aus simplen Hütten, aus vielen weht Musik herüber.

Radreise Kuba: Landschaft mit Hütte nahe Viñales

Wenn ich hier, in diesen völlig abgelegenen Regionen, Leute treffe, grüßen diese anders, energiesparender. Einige geben kurze Zischlaute von sich, andere heben nur noch vage den Zeigefinger.

Wieder stellt sich der Trancezustand ein, täglich scheine ich dabei tiefer zu kommen. Heute tut mir fast nichts weh und ich fahre wieder barfuß. Das Fahrradfahren fühlt sich nun wie ein Teil meiner selbst an. Der Weg dieser Radreise Kuba scheint nie zu enden und irgendwie ist mir das fast egal. Zum Glück haben sich ein paar Wolken vor die Sonne geschoben.

Als ich nach einigen Stunden den ersten Imbiss erreiche, merke ich, dass ich nicht mehr weit vom Ziel entfernt sein kann. Denn plötzlich sehe ich Autos, Menschen und auch eine ganze Handvoll Touristenbusse. Ich trinke noch schnell einen Kaffee zu umgerechnet 4 Cent und esse ein Marmeladenbrötchen, dann mache ich mich an den Endspurt.

Es geht noch mal bergauf, leicht nur, aber dafür auf mehreren Kilometern. Wieder einmal habe ich das Gefühl, auf der Notreserve meiner Kräfte zu arbeiten. Doch die Ausblicke entschädigen für alles. Tabakfelder, alte Fincas, beeindruckende Felsen mit Höhlen. Und alles in einem so satten Grün, dass es fast in den Augen schmerzt.

Radreise Kuba: Eine 'Vela', in der der Tabak getrocknet wird
Eine ‚Vela‘, in der der Tabak getrocknet wird

Radreise Kuba: Viñales

Ich bin kaum ins Dorf Viñales eingefahren, da weiß ich schon, dass es mir hier sehr gefällt. Es besteht aus einstöckigen Häusern in vielen Farben, die immer mit einer großen Veranda bestückt sind, auf denen die Leute in Schaukelstühlen sitzen. So auch in dem Casa, das noch einen Platz für mich frei hat. Die Hausherrin Lydia ist sehr liebenswert und mittlerweile ist mein Spanisch gut genug, um fast alles zu verstehen, was sie sagt. Ich erfrische mich kurz und mache dann eine kleine Tour durch das entzückende Dörfchen. Alles ist voller Touristen, aber das ist auch kein Wunder. Fast jede Ecke ist ein Foto wert. Ich trinke noch ein Bier am Marktplatz und bin doch etwas stolz darauf, es letztendlich mit dem Rad bis hierher geschafft zu haben. Sollte ich einfach auch den gesamten Rückweg radeln? Momentan wäre ich in Stimmung dafür.

Radreise Kuba: Kirche im Zentrum von Viñales
Das Zentrum von Viñales

Zurück in meinem Haus mixt man mir einen fruchtigen Mojito und ich sitze mit dem leckeren Getränk und einer Zigarre in der Hand sowie Lima, dem Hund des Hauses, auf dem Schoß im Schaukelstuhl, rundum zufrieden. Dann fährt Lydia ein tolles Essen auf und wir plaudern noch eine Weile. Auch bei den älteren Menschen Cubas habe ich oft das Gefühl, dass sie mit ihrer Situation nicht ganz zufrieden sind. Man merkt jedoch, dass sie noch die Zustände vor der Revolution kennen, die tatsächlich noch schlimmer waren. Das lässt ihr Urteil milder ausfallen als das der jungen Leute.

Radreise Kuba: Landarbeiter in Viñales
In Viñales

Später gehe ich noch mal raus. Während ich in einer Bar Rum trinke und Zigarre rauche, spricht mich Mercedes, eine leicht verlebte Dame, an und ich durchschaue ihre Absichten sofort. Wie komme ich aus der Nummer nur wieder raus? Ich entscheide mich für den direkten Weg und teile ihr einfach unverblümt mit, dass ich nicht mit ihr schlafen werde, ihr aber gerne trotzdem ein paar Getränke ausgeben kann. Nach wenigen Sekunden, in denen sie über dieses Angebot nachdenkt, ändert sich die Situation schlagartig und Mercedes grinst. Sie ruft noch ein paar Freunde hinzu und wir quatschen und trinken gemeinsam. Ich lade die ganze Bande in den ‚Salon de Baile’, den Tanzsalon ein und spendiere noch eine Flasche Rum. Wir verleben einen wirklich witzigen Abend. Die Mädels versuchen mir vergeblich Salsa beizubringen, während Gregorio, ein entfernter Verwandter von Mercedes, mir Tips zum Saufen und sonstigen wichtigen Dingen auf der Insel gibt. So schüttet man etwa nach dem Öffnen einer Flasche den ersten Schluck auf den Boden, um die Orishas, die Götter zu besänftigen. Ich lerne auch, dass ‚Agua’ gerade das coolste Wort ist, um etwas positiv zu beschreiben. Das erklärt, warum man dieses Wort in jedem zweiten Regueton-Song zu hören bekommt.

Zum ersten Mal sehe ich hier in diesem seltsamen Club auch Sex-Tourismus mit vertauschten Geschlechtern. Aufgebrezelte, sonnenverbrannte Blondinen lassen sich vom erstbesten Latino umgarnen, der mit der Hüfte neben ihrem Tisch wackelt. Auch in dieser Konstellation ist käuflicher Sex nicht gerade hübsch anzusehen.

Leicht angeschlagen falle ich weit nach Mitternacht über den Dorfplatz in Richtung meines Casa Particular, mit einer Einladung zu meinen neuen Freunden nach Pinar del Rio in der Tasche.

Tag 4

Ich beginne den Tag mit der Fahrt zu einem Aussichtspunkt, der mir den besten Blick in das wahrscheinlich schönste Panorama Cubas bietet. Das Tal erstrahlt in einem geradezu magischen Grün und die Felsen und Tabakhütten wirken wie gemalt. Dann rolle ich zurück zu Doña Lydia und hole meine Sachen ab. Denn nun will ich ans Meer.

Radreise Kuba: Das atemberaubende Viñales Tal
Das Viñales Tal – atemberaubend!

Radreise Kuba: Puerto Esperanza

Ich brauche für die 25 Kilometer etwa 3 Stunden, denn die Straßen sind bergig, es ist extrem heiß und ich bin leicht verkatert. Noch in Viñales sehe ich einen Unfall. Es sieht nicht so aus, als hätte der Motorradfahrer diesen überlebt. Meine ohnehin schon ungute Stimmung verschlechtert sich noch. Miesepetrig radele ich und versuche mein Gesicht vor der erbarmungslosen Sonne zu schützen.

Am Ortseingang von Puerto Esperanza liegt ein totgefahrener Hund mitten auf der Straße und vergießt sein letztes Blut. Ich habe augenblicklich ein ungutes Gefühl, das noch stärker wird, je weiter ich in das heruntergekommene Nest hineinfahre.

Es gibt hier keinen Strand, wie ich ihn erwartet habe, sondern nur einen schmutzigen Hafen. Das ganze Dorf wirkt abweisend. Halb zerfalllene Gebäude in kommunistischer Architektur, alles und alle wirken wie gelähmt. Dann jedoch fällt mir ein, dass mir gesagt wurde, hier könne man die besten Langusten der Welt essen. Nach kurzem Suchen finde ich die alte Dame, deren Kochkunst in Kritzeleien an der Wand von Menschen aus der ganzen Welt gepriesen wird. Leider gibt es jedoch aufgrund des starken Windes gerade heute keine Langusten. Sie kocht mir stattdessen einen leckeren Fisch und erzählt mir davon, wie sie vor vielen Jahren Che Guevara getroffen hat, als die amerikanischen Schiffe hier direkt vor der Küste lauerten. Ernst sei er gewesen, aber ein guter Mann.

Radreise Kuba: Haus und Traktor in Puerto Esperanza

Ich frage sie, wie das Leben so ist in Puerto Esperanza und sie sagt: ‚Sehr schwer.’ Es fehle an allem, sie kann viele Dinge nur tun, weil sie Freunde im Ausland hat, die sie finanziell unterstützen. Sie erweckt bei mir den Eindruck, als habe sie sich längst damit abgefunden, dass sich so bald nichts ändern wird. Resignation ist ein wiederkehrendes Gefühl, das hier beim Besucher zurückbleibt.

Ich entschließe mich, nach Viñales zurückzufahren, obwohl ich nun nach dem Essen noch fertiger bin als zuvor. Auf dem Weg bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich die Strecke schaffen werde. Schon bald kann ich kaum mehr denken und habe das Gefühl, das Bewusstsein zu verlieren. Die Sonne, die Schwüle, der große Fisch in meinem Magen… Erst trinke ich an einer völlig verlassenen Tankstelle eine Cola und eine komplette Flasche Wasser. Dann sitze ich eine geschlagene Stunde lang im Schatten eines Baumes neben Pedro und versuche, meinen Kreislauf wieder in Gang zu bringen. Zum Glück bewölkt es sich währenddessen und es fallen auch ein paar Tropfen.

Radreise Kuba: Landschaft mit Haus bei Viñales
Bei Viñales

Zurück in Viñales mache ich noch einen Spaziergang durch das hübsche Dorf und fotografiere Autos, wartende Greise und fußballspielende Kinder. Dann gehe ich sehr früh schlafen. Noch vor dem Schlafengehen beschließe ich, dass es nun auch reicht mit meiner Radreise Kuba. Ich buche mir ein Ticket für den nächsten Tag, der Bus wird Pedro im Gepäckraum mitnehmen.

Ich schlafe ein mit einem Gefühl, dass man wohl nicht viel näher an die kubanischen Menschen herankommen kann, als ich es auf dieser Fahrradtour geschafft habe. Doch dies ist Fluch und Segen zugleich. Denn hat man einmal tiefergehend mit den Leuten gesprochen, dann kann man die Verzweiflung und Traurigkeit der Menschen nicht mehr ignorieren. Ein Satz, den ich auf dieser Tour mehrfach gehört habe, spukt mir im Kopf herum, als ich neben Pedro einschlafe: ‚Der Traum eines Menschen (Castro) ist zum Alptraum von 11 Millionen geworden.‘

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